Biopsychosoziale Medizin in der Lehre
auf dem Weg zu einer integrierten wissenschaftlichen Medizin für das 21. Jhdt. -
Optimierungen für das Curriculum der Humanmedizin
Graz, 16. November 2013
09:30 - 16:00 Uhr
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Panta rhei, alles fließt, auch das Grundverständnis der wissenschaftlichen Medizin ändert sich – zwar langsam, aber unaufhaltsam. Es sind einerseits gesellschaftliche Entwicklungen, die das Medizinsystem dazu drängen, das „Subjekt in der Medizin“, d.h. den kranken Menschen mit seinem Leid, den Ängsten und Sorgen, aber auch seinen Motiven und Potenzialen wahrzunehmen und nicht nur sein körperliches Gebrechen. Andererseits drängt sowohl der Finanzierungsengpass im Gesundheitswesen als auch eine erweiterte Sicht der medizinischen Hintergrundtheorie die bisherige Vorrangstellung der Reparaturmedizin in die Enge und macht den Blick frei auf eine umfassendere, biopsychosoziale Konzeption von Krankheit und Gesundheit.
Folgerichtig weist die Medizinische Universität Graz das Biopsychosoziale Modell als ihr Leitbild für die Ausbildung in Humanmedizin aus. Diese Orientierung für die wissenschaftliche Medizin gewährleistet eine multidimensionale Sicht auf Diagnostik und Therapie und berücksichtigt neben den biomedizinischen Aspekten immer auch die psychologischen und öko-sozialen Bedingungen für die Entstehung und Aufrechterhaltung von Krankheiten. Die Grundlage der biopsychosozialen Medizin bildet dabei die Theorie der Körper-Seele-Einheit (body mind unity theory) – eine Erkenntnis, wonach jedes seelische Ereignis immer auch zugleich ein physiologischer Vorgang ist. Damit kann die bisherige Psychosomatik mit ihrer Zwei-Welten-Theorie (dem „Leib-Seele-Dualismus“) überwunden und eine integrierte Medizin für das 21. Jhd. entwickelt werden.
Die hard facts der bisherigen medizinischen Wissenschaften bleiben zentraler Bestandteil der neuen Orientierung, sie werden aber signifikant erweitert durch die den kranken Menschen jeweils eigenen psychologischen und umweltbezogenen Wirkfaktoren. Krankheit entwickelt und ändert sich auf der Basis der individuellen genetischen Matrix im Kontext von persönlichen Eigenheiten des Erlebens und Verhaltenseines Menschen sowieseiner spezifischen ökologischen und sozialen Lebensbedingungen. Da diese Wirkebenen parallel verschaltet sind, macht es Sinn, diese sowohl in Diagnostik als auch Therapie simultan (parallel) zu nutzen. Um einem solch breiten Ansatz gerecht zu werden, benötigt die angehende Ärzteschaft nicht nur Wissen und Fertigkeiten im pharmazeutischen und technisch-chirurgischem, sondern auch ausreichende Kenntnisse und Kompetenzen im kommunikativen Bereich der ärztlichen Tätigkeiten.
Was es in der akademischen Ausbildung nun braucht, ist eine anhaltende Förderung der sog. soft skills. Eine professionelle Arzt-Patient-Kommunikation ist in ihren Grundzügen lehr- und lernbar, sie hilft, die Patienten in ihrem Leid besser zu verstehen und sie fachkundig begleiten zu können, sie aber auch dort in die Verantwortung zu nehmen, wo dies sinnvoll und notwendig ist. Die ärztlichen Haltungen (medizinischer Problemlöser, helfender Förderer des Gesundheitsverhaltens und frustrationstoleranter Begleiter des Patienten) müssen verstanden, eingeübt und erprobt werden – eine echte Herausforderung für alle Lehrenden.
Mit diesem Symposium wollen wir uns diesem vielschichtigen Thema stellen, unsere Inhalte, didaktischen Überlegungen und persönlichen Erfahrungen zur gegenseitigen Bereicherung austauschen. Die Umsetzung des biopsychosozialen Anspruchs kann – auch in der Lehre - nur gelingen, wenn sich viele – sehr viele – von uns dafür engagieren und mit Geduld und Ausdauer das Ziel einer effizienten und zugleich humanen Medizin verfolgen.
Univ.-Prof. Dr. Josef W. Egger
Professur für Biopsychosoziale Medizin in der Lehre
Medizinische Universität Graz